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Der folgende Text ist eine leicht gekürzte Fassung des Vortrag von Harry beim Kirchentag 2015 in Stuttgart:

 

Hin und wieder werde ich mit dem Vorwurf konfrontiert: „Euer Gründer Baden-Powell war doch ein Militarist.“ Nun ist es zwar richtig, dass Robert Baden-Powell Soldat war und das Ziel hatte, seinem Vaterland Großbritannien im Militär zu dienen. Das gilt aber nur für die erste Hälfte seines Erwachsenenlebens. In der zweiten Hälfte war er überzeugter Pazifist und gründete die Pfadfinder als weltweite Friedensbewegung.

 

Robert Baden-Powell wurde am 22. Februar 1857 als achtes Kind eines anglikanischen Theologie-Professors geboren. Der Vater starb, als Robert drei Jahre alt war. Seine wichtigste männliche Bezugsperson wurde sein Großvater mütterlicherseits, Admiral Smyth, der seinem Enkel von seinen Fahrten in die englischen Kolonien in Asien und Afrika erzählte. So entstand in Robert der Wunsch, ferne Länder und fremde Kulturen kennenzulernen. Deshalb ging er nach der Oberschule auf die Militärakademie, die er mit den besten Noten abschloss. Als junger Offizier diente er zunächst in Indien, später in Afrika.

In Indien lernte er Rudyard Kipling kennen, den Autor des Dschungelbuchs. Diese Geschichte von dem kleinen Mowgli, der von Wölfen großgezogen wird, machte Baden-Powell später zur Grundlage der Erziehung der Wölflinge, der jüngsten Pfadfinder im Alter von 8 bis 10. Als ich Wölfling war, hatte jeder von uns einen Namen aus dem Dschungelbuch. Ich war Mowgli, unsere Leiterin war Akela (der Anführer des Wolfsrudels), meine Kameraden waren Balu der Bär, der Panther Baghira, die Schlange Kaa usw. Rudyard Kipling schrieb aber noch ein zweites, mindestens genauso wichtiges Buch, nämlich KIM (deutscher Untertitel: „Geheimdienst in Indien“). Hier wird der kleine Kim von einem britischen Geheimagenten in Indien zu einem „Mini-Spion“ ausgebildet. Er lernt, sich viele Sachen zu merken (20 Gegenstände auf einem Tisch, die er hinterher aufzählen muss), er lernt, genau hinzusehen und hinzuhören, er lernt, sich Botschaften zu merken, die er mündlich überbringen muss. Daraus entstanden die Kim-Spiele, die bei den Pfadfindern eine große Rolle spielen.

Vielleicht waren es diese Dinge, die Baden-Powell dazu bewegten, Spion zu werden. Jedenfalls war er fast nie unmittelbar an Kriegen beteiligt, sondern arbeitete meist hinter der Front als Spion. Er war also eher James Bond als Rambo. Seine letzten Jahre beim Militär ab 1902 war Baden-Powell Chef der südafrikanischen Schutzpolizei. Dort trugen er und seine Männer den breitkrämpigen, vierkantig eingedrückten Hut, der später zum Pfadfinderhut wurde.

Zwischen der Zeit als Spion und als Polizeichef leitete Baden-Powell den Ashanti-Feldzug im heutigen Ghana zur Festnahme des mörderischen Königs Prempeh. Dieser Prempeh war ein Stammeshäuptling, der sich zum König ausgerufen hatte. Die Briten ließen damals die lokalen Herrscher im Amt, sofern sie ihr Volk im Sinn der Briten regierten – nach dem Motto „He’s a bastard, but he’s our bastard.“ Prempeh war dann aber offenbar ein zu großer Bastard geworden. Baden-Powell schrieb, Prempeh hätte es „mit Hinrichtungen und Menschenopfern etwas zu bunt getrieben“, sodass die britische Regierung beschloss, ihn zu entmachten. Oberst Baden-Powell wurde beauftragt, Prempeh gefangenzunehmen. Dieser versuchte zu fliehen, aber Baden-Powell wusste, auf welchem Weg Prempeh durch den Dschungel fliehen würde, und legte ihm einen Hinterhalt. Auch hier war Baden-Powell mehr Polizist als Krieger. Und die Sache hatte sogar ein Happy End: In seinem Buch ROVERING TO SUCCESS erwähnt Baden-Powell, dass Prempeh nach der Abbüßung seiner Strafe Präsident des Pfadfinderverbands von Ghana wurde. So hatte der geläuterte Ex-König wieder etwas zu befehligen – aber zwei Nummern kleiner als zuvor.

Wie man sieht, war Robert Baden-Powell in seiner Militärzeit kein Krieger, der seine Feinde niedermetzelte. Der einzige größere Krieg, an dem er teilnahm, war der Burenkrieg von 1899 bis 1900, in dem die Briten in Südafrika gegen die Buren, Nachfahren holländischer Siedler, kämpften. Hier leitete Baden-Powell die weitgehend unblutige Verteidigung der südafrikanischen Garnisonsstadt Mafeking. Mit allerlei Tricks, die er als Spion gelernt hatte, spielte er den Buren vor, die Stadt sei uneinnehmbar und es wimmle dort von Soldaten, obwohl er nur 700 Soldaten und 300 Zivilisten zur Verfügung hatte, während die Buren die Stadt mit 7500 Mann belagerten. Baden-Powell arbeitete unter anderem mit Gewehr-Attrappen, die von Jugendlichen bewegt wurden, auch setzte er junge Burschen als Fahrrad-Kuriere ein, die Botschaften in die Außenforts transportierten. Nach sieben Monaten Belagerung zogen die Buren ab. Baden-Powell hatte die Stadt gerettet. Queen Victoria ernannte ihn mit 43 Jahren zum jüngsten General Englands.

 

Im Jahr 1900 veröffentlichte Baden-Powell sein Buch AIDS TO SCOUTING (Hilfen zur Pfadfinderei), in dem er viele Kniffe und Schliche der „Waldläuferkunst“ beschrieb. Vieles davon hatte er von Eingeborenen in Afrika gelernt. Bekannt ist seine Freundschaft mit dem Zulu-Häuptling Dinizulu.

Obwohl AIDS TO SCOUTING in erster Linie für Soldaten geschrieben war, wurde das Buch in England von vielen Jugendlichen gelesen und auch als Lektüre an Schulen verwendet. Das veranlasste Baden-Powell, im Jahr 1907 ein Zeltlager auf der Insel Brownsea durchzuführen, in dem 13- bis 15-jährige Knaben die im Buch beschriebenen Dinge ausprobieren konnten. Die Jugendlichen waren in vier Sippen von jeweils 5 bis 6 Mann eingeteilt, so wie Baden-Powell früher seine Soldaten in Kleingruppen (Patrouillen) eingeteilt hatte, in denen jeweils einer der Anführer (Kornett) war. Baden-Powell erkannte schon damals, was die Sozialpsychologie in den 1940er-Jahren nachwies: Die Obergrenze einer Face-to-Face-Group (in der jeder mit jedem von Angesicht zu Angesicht kommunizieren kann) ist 7. Die ideale Kleingruppe hat 5 bis 7 Mitglieder. Das Programm des Zeltlagers bestand aus dem Aufbau der Zelte, dem Anlegen einer Feuerstelle, dem Anfertigen von Lagerbauten (Sitzbänke, Brücken, Flöße, Sportgeräte), dem Beobachten von Tieren, der Orientierung im Gelände mit Karte und Kompass und jeder Menge sportlicher Wettbewerbe. Das Lager auf Brownsea Island gilt als offizieller Beginn der Pfadfinderbewegung. Bald darauf nahm Robert Baden-Powell seinen Abschied beim Militär.

1908 erschien Baden-Powells zweites Buch SCOUTING FOR BOYS. Der Inhalt lässt sich in zwei Teile gliedern. Auf der einen Seite erklärt Baden-Powell Kindern und Jugendlichen pfadfinderische Techniken wie Lagerbauten, Spurenlesen, Orientierung im Gelände mit Landkarte und Kompass, Baumfällen, Seilknoten, Wetterkunde, gesunde Ernährung und Erste Hilfe. Auf der anderen Seite erklärt er die pfadfinderischen Wertvorstellungen, die er an den Werten des Rittertums orientiert. Dabei sah Baden-Powell die Ritter nie als Krieger, die in Schlachten und Kreuzzügen ihre Feinde niedermetzelten. Für ihn waren die Ritter eine Mischung aus Polizeitruppe (Schutz der Menschen vor Räubern und Mördern, Verhaftung der Schurken) und Sozialarbeitern, die Menschen in Not halfen. Er schrieb: „Sie waren hilfsbereit gegen jedermann; sie gaben Geld und Speise, wo es nötig war, und sie lebten sparsam und einfach, um das tun zu können.“ Diesen Satz sage ich in der Rolle des weisen alten Hanck al Menhard im Spielfilm DIE HELDEN VON HALDNERACKMÁHN zu den jungen Helden. Aus den Tugenden der Ritter (Glaube an Gott, Ehre, Treue, Kameradschaft, Hilfsbereitschaft, Höflichkeit, Pflichterfüllung, Selbstbeherrschung, Ausdauer, Heiterkeit, Reinheit, Sparsamkeit und Verzicht auf überflüssigen Luxus) entwickelte Baden-Powell die für alle Pfadfinder geltenden Pfadfindergesetze. Ausführlich geht Baden-Powell in SCOUTING FOR BOYS auf die Ritter der Tafelrunde von König Artus ein und auch auf Sankt Georg, den Schutzpatron der Ritter und Pfadfinder. Dieser lebte um das Jahr 300 nach Christus, zur Zeit des römischen Kaisers Diokletian, des letzten großen Christenverfolgers. Georg war berittener Soldat im Dienst des Kaisers – und er war Christ. Er hätte eine große Karriere machen können, wenn er seinem Glauben abgeschworen hätte. Aber er blieb standhaft und wurde deshalb hingerichtet. Der Sage nach hat er in Kappadozien (in der damals von Griechen bewohnten heutigen Türkei) einen Drachen getötet, der eine Stadt terrorisierte und forderte, dass ihm täglich eine Jungfrau zum Fraß vorgeworfen werden müsse. Georg stellte sich dem Drachen mutig entgegen und tötete ihn. Nun gab es im Jahr 300 nach Christus natürlich keine Drachen. Ich sehe den Drachen als Symbol für einen grausamen Herrscher, der jeden Tag von seinen Soldaten eine Jungfrau in seine Burg schleppen ließ, damit er sie „vernaschen“ konnte. Sankt Georg rettete die Jungfrau und tötete oder verhaftete den grausamen Tyrannen.

Von den Tugenden der Ritter schlägt Baden-Powell schließlich den Bogen zu den Pflichten eines Staatsbürgers in der heutigen Zeit. Pfadfinder sollen sich sozial engagieren, anderen gute Taten erweisen, von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, sich auch selbst in politischen Parteien engagieren und für öffentliche Ämter kandidieren.

 

Davon ausgehend, dass man damals mit 21 Jahren volljährig wurde und dass Baden-Powell im Alter von 84 Jahren starb, befinden wir uns nun exakt in der Mitte seines Erwachsenenlebens. Nach seinem Abschied beim Militär war Baden-Powell Pazifist geworden. Schon in SCOUTING FOR BOYS (das er 1907 schrieb und das 1908 erschien) schreibt er gleich im 1. Kapitel das Wort „Friedenspfadfinder“. Außer der Geschichte von Mafeking (durch die er berühmt geworden war und die er in seinem Buch natürlich am Anfang erwähnen musste) findet sich in dem Buch keine einzige Kriegsgeschichte, in der gekämpft, geschossen und getötet wird. Das gilt auch für sein späteres Buch ROVERING TO SUCCESS, worauf ich noch eingehen werde.

 

Der Erste Weltkrieg machte Baden-Powell endgültig zu einem entschiedenen Kriegsgegner und engagierten Pazifisten. Das lag nicht zuletzt daran, dass mehrere Teilnehmer des Brownsea-Zeltlagers im Ersten Weltkrieg gefallen waren. Baden-Powell bezeichnete es als Schande, „dass Millionen von Menschen getötet wurden, Staaten zugrunde gerichtet wurden und die ganze Welt auf Jahre ins Chaos gestürzt wurde, weil ein Serbe einen Österreicher ermordet hat“. (Aufgrund der Ermordung des österreichischen Thronfolgers durch einen Serben in Sarajewo erklärte Österreich Serbien den Krieg. Daraufhin erklärte das mit Serbien verbündete Russland Österreich den Krieg. Das Deutsche Kaiserreich, das mit Österreich verbündet war, erklärte Russland den Krieg. England, Frankreich und andere Staaten traten ebenfalls in den Krieg ein – und so kam es zum Weltkrieg.)

Von da an bis zu seinem Tod im Jahr 1941 tat Baden-Powell alles, um die Pfadfinder zu einer weltweiten Friedensbewegung zu machen. In fast allen Ländern der Welt wurden Pfadfindergruppen gegründet. 1920 veranstaltete Baden-Powell das erste Jamboree (Weltpfadfindertreffen) in London. Hier wurden unter anderem die Pfadfindergesetze beschlossen und Baden-Powell wurde zum Chief Scout of the World gewählt. Seither finden regelmäßig solche Jamborees statt. Baden-Powell sagte: „Wenn die Jugendlichen aus allen Ländern der Welt sich als Freunde kennengelernt haben, werden sie als Erwachsene nicht aufeinander schießen.“

Diese Gedanken tauchen auch in Baden-Powells Buch ROVERING TO SUCCESS auf, das in den 1920er-Jahren entstand. Auch dieses Buch enthält keine Kriegsgeschichten, in denen gekämpft, geschossen und getötet wird. Vielmehr beschreibt Baden-Powell die Klippen, an denen Menschen auf ihrem Lebensweg scheitern können, und gibt Ratschläge, wie die Klippen umschifft werden können. Er erklärt das größtenteils anhand von Beispielen aus seinem Leben. Im Kapitel über Alkohol schildert er, wie er als Offizier seinen Soldaten den richtigen Umgang mit Alkohol beibrachte: Er erlaubte ihnen, zum Mittag- und Abendessen Bier zu trinken – aber nur ein bis zwei Gläser zu den Mahlzeiten und niemals zwischen den Mahlzeiten. Dadurch ging der Alkoholkonsum in der Truppe stark zurück.

Ich lese jetzt einen Text aus ROVERING TO SUCCESS vor, in dem es um Autosuggestion geht:

Selbstkontrolle oder Selbstbeherrschung ist inzwischen zu einer richtigen Wissenschaft­ geworden, und viele Ärzte haben große Erfolge damit erzielt, Leute durch Aktivierung ihrer eigenen Geisteskräfte von Schmerz und Krankheit zu heilen. Du hast bestimmt schon von bemerkenswerten Heilungen verschie­dener Art gehört, die durch den »Glauben« zustande kamen, das heißt durch die Überzeugung des Patienten, dass das Übel von ihm weichen werde. Vermutlich haben dies die meisten von uns zu dieser oder jener Zeit bis zu einem gewissen Grad schon einmal selbst ausprobiert.

Nehmen wir an, du hast eine Wunde am Bein. Das ganze Bein tut dir weh; du glaubst, jeden Moment ohnmächtig zu werden; du kannst kaum mit dem Fuß auftreten. Au, wie das weh tut! Du kannst dich für eine Weile hinsetzen oder hinlegen und stöhnen.

Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit, damit umzugehen: »Eine Wunde? Ja, es ist doch nur ein ganz kleines Loch und der Schmerz kann nur unmittelbar um die Wunde herum fühlbar sein. Nein, nicht das ganze Bein herauf, das ist nur Einbildung. Nein, er ist nur an dieser kleinen Stelle, an einem ganz winzigen Fleck und folg­lich nur ein leichter Schmerz. Nimm dich zusammen, geh weiter, halte das Bein in Bewegung, damit es nicht steif werden kann. Halt es warm und es wird nicht schmerzen! So ist es richtig, es geht schon besser.«

Wenn du Schmerzen hast, musst du deine Gedanken konzentrieren und dir die Er­leichterung vorstellen, die du dir wünschst; dann stell dir vor, dass das Gewünschte nach und nach eintritt, und schon wirst du spüren, dass es klappt. Neunundneunzig Prozent der Menschen haben Schmerzen, sind krank oder gar hilflos, nur weil sie es zu sein glauben. Kann man sie aber dazu bringen, sich das Ge­genteil vorzustellen, nämlich dass es wieder gut wird, so wird es fast ausnahmslos wieder gut sein.

Autosuggestion kann nicht nur Schmerzen lindern, sondern in gleicher Weise auch ein schlechtes Ge­dächtnis oder Angstzustände heilen, und darüber hinaus – und hier liegt ihre Bedeutung für junge Leute – könnt ihr dadurch Gelüsten nach Alkohol, Tabak, sexuellen Verlockungen und anderen Formen der Zügellosigkeit widerstehen und sie überwinden.

Danach berichtet Robert Baden-Powell, dass er diese Erfahrung am eigenen Leib gemacht hat:

„Ich lag ziemlich ernst an der Ruhr erkrankt im Krankenhaus, als die Nachricht eintraf, ich sollte, wenn ich zu einem bestimmten Datum wieder gesund sei, das Kommando über eine Kolonne erhalten. Dies schien ein aussichtsloses Unterfangen zu sein; doch gab ich die Hoffnung nicht auf. Ich stellte mir vor, was ich alles als Kommandant unterneh­men würde, und schmiedete Pläne, während ich mich gleichzeitig anstrengte, gesund zu werden. Je mehr ich mich anstrengte, desto besser ging es mir. Von Tag zu Tag ging es mir besser, aber als der bedeutungsvolle Tag kam, war ich gerade noch ein bisschen zu schwach, um aus dem Krankenhaus entlassen zu werden.

Zwei Tage später wurde ein an­derer Mann eingeliefert, der ebenfalls schwer an der Ruhr erkrankt war. Man benötigte mein Bett für ihn. Als ich es ihm überließ, meinte er stöhnend, er sei gekommen, um zu sterben. »Unsinn«, sagte ich zu ihm, »ich war viel schlimmer dran, als ich eingeliefert wurde. Denken Sie an das, was Sie tun wollen, wenn Sie wieder herauskommen.«

Am folgenden Tag brach ich mit einer Eskorte von drei Mann auf, und nach einem Ritt von achtzig Meilen durch eine gefährliche Gegend stieß ich zu meiner Kolonne und übernahm den Oberbefehl. Inzwischen stellte sich mein Krankenbett-Nachfolger vor, zu sterben. Es ging ihm immer schlechter und schließlich tat er das, was er sich vorgestellt hatte: Er starb.

 

In einem weiteren Beispiel erklärt Baden-Powell, wie der Soldat Tommy Tomkins den Tod bezwang. Tommy lag todkrank im Lazarett. Der Arzt beauftragte einen Krankenpfleger, Wärmflaschen oder heiße Ziegelsteine unter die Füße des Patienten zu legen, um ihn warm zu halten. Der Krankenpfleger jedoch kümmerte sich nicht um den Patienten, sondern rauchte gemütlich eine Wasserpfeife, weil er dachte, Tommy würde so oder so sterben. Tommy war zwar unfähig sich zu bewegen oder zu sprechen, aber er bekam alles mit, was vor sich ging. Er schwor sich, es dem Krankenpfleger heimzuzahlen, falls er wieder gesund würde. Und so kehrte er ins Leben zurück. Es war die Macht des Willens und der Vorstellungskraft, die ihn am Leben hielt.

Diese kurze Schilderung in Baden-Powells Buch ROVERING TO SUCCESS veranlasste Linda Kronrat und mich, eine ähnliche Geschichte in unseren Roman KATHY UND DER GROßE KRIEG einzubauen. Nachdem es in KATHY UND DIE TEUFLISCHEN SECHS um die von Baden-Powell beschriebenen sechs Klippen ging, an denen Menschen scheitern können, geht es in der Fortsetzung KATHY UND DER GROßE KRIEG um das Thema „Krieg und Frieden“.

Die Hexe Hedobolica hatte Kathys Mutter vergiftet, statt sie wie versprochen von ihrem Fieber zu heilen. Danach hatte sie Kathys Vater König Arnold von Kratorniland geheiratet und war dadurch zur Königin geworden. Zusammen mit ihren teuflischen Kumpanen tyrannisiert sie nun das Land. Sie versucht, auch ihren Mann zu vergiften, doch der kann ins Nachbarland Rawnina fliehen. Die dort regierende Großfürstin stellt König Arnold ihre Armee zur Verfügung, um sein Reich zurückzuerobern. Gleichzeitig erhebt sich in Kratorniland die Clan-Allianz unter der Führung von Kathys Onkel Wolfhart von Wolfen gegen Königin Hedobolica. Der Bruder von Kathys Mutter will den Tod seiner Schwester rächen. So kommt es zum Großen Krieg zwischen Rawnina und der Clan-Allianz auf der einen Seite und Hedobolicas Söldner-Armee auf der anderen Seite.

Kathy versucht, zwischen den Krieg führenden Parteien zu vermitteln, scheitert aber mit ihren Friedensbemühungen. Ihr Onkel Wolfhart fordert die Heldenprinzessin auf, an seiner Seite gegen Hedobolicas Söldner zu kämpfen. Sein fünfzehnjähriger Sohn Wolfgang schleudert Kathy bissig entgegen: »Ich bin jetzt ein Krieger. Und du behauptest, eine große Heldin zu sein. Du trägst das Schwert des Heiligen Victor, bist unverwundbar und hast das Monster Hamtimansisk besiegt. Aber du bist zu feig, in den Krieg zu ziehen. Du versteckst dich in deinem Kloster und bist nicht einmal bereit, den Mord an deiner Mutter zu rächen. Ich verachte dich!«

Wolfgangs Schwester Wolftraud, die lieber Traudl genannt wird, hält hingegen zu Kathy und folgt ihrer Cousine ins Kloster Kathármia. In der Nähe des Klosters haben die Heiligen Jungfrauen ein Lazarett für die Verwundeten des Kriegs eingerichtet. Es wird von Kathys bester Freundin Gabi geleitet. Im Kloster wohnt sei Kurzem ein Mädchen namens Rike. Sie ist ihren Eltern davongelaufen, weil sie sie mit einem Typen verheiraten wollten, den Rike nicht ausstehen kann. So hat sie in Kathys Kloster Zuflucht gesucht. Rike passt nicht so recht zu den Heiligen Jungfrauen, denn sie denkt nur an ihre Schönheit und wie sie den Männern den Kopf verdrehen kann. Als Kathys Cousin Wolfgang schwer verwundet ins Lazarett eingeliefert wird, reitet Traudl vom Kloster zum Lazarett und nimmt Rike mit.

Als sie ankommen, ist Traudl entsetzt, wie schlecht es ihrem jüngeren Bruder geht. Ihr älterer Bruder Wolfram ist schon kurz zuvor im Krieg gefallen. Gabi erläutert, dass das Fieber und der Schüttelfrost Folgen von Wolfgangs schwerer Verletzung sind. Er muss warmgehalten und zum Schwitzen gebracht werden. Gabi schlägt vor, ihm ein paar heiße Steine von der Feuerstelle unter seine Füße zu legen und ihm außerdem einen warmen Tee aus Hagebuttenschalen und Holunderblüten einzuflößen. Kathy beauftragt Rike, die heißen Steine zu holen, während sie, Gabi und Traudl sich um die anderen Dinge kümmern. Rike geht zur Feuerstelle, an der die Mitglieder von Kathys Leibgarde sitzen, die das Lazarett vor möglichen Angriffen schützen sollen. Einer der Leibgardisten ist der Armbrustschütze Pedro, der schon aus den ersten Kathy-Romanen als Schürzenjäger bekannt ist. Er nennt Rike die »Schönste aller Schönen«, überschüttet sie mit Komplimenten und Kosenamen und bietet ihr an, die heißen Steine ins Sanitätszelt zu tragen. Als sie das Zelt betreten und Pedro Wolfgang dort liegen sieht, sagt er: »Ich glaub’, der ist schon tot. Ich hab’ schon viele sterben sehen – und alle sahen gesünder aus als der da. Wenn der wirklich noch lebt, gibt er innerhalb der nächsten Stunde den Löffel ab. Da ist jede Mühe vergebens. Was krieg’ ich jetzt dafür, dass ich dir geholfen habe, mein Schmusekätzchen?«

Er und Rike knutschen heftig miteinander. Kurz bevor es richtig zur Sache geht, kommen Kathy, Gabi und Traudl zurück. Kathy befiehlt Pedro, sich bei Hauptmann Matteo zu melden und sich von ihm eine sinnvolle Arbeit zuteilen zu lassen. Dann holt sie warmes Wasser für den Tee. Wie es danach weitergeht, lese ich nun vor:

Als sie wenige Minuten später das Sanitätszelt betrat, saß Traudl bei ihrem Bruder auf dem Bett und hielt seine Hand. Die warmen Steine hatte sie unter seine Füße geschoben.

»Es scheint ihm etwas besser zu gehen«, bemerkte Kathys Cousine. »Er hat die Augen aufgeschlagen, mich angesehen und den Mund bewegt.«

Nachdem Gabi den Tee aus Hagebuttenschalen und Holunderblüten gekocht hatte, reichte sie Wolfgang einen Becher davon, den er auf einen Zug austrank. Dann hob er langsam seinen Oberkörper und blickte die im Zelt versammelten Jungfrauen an.

»Ich danke euch, dass ihr mein Leben gerettet habt«, kam es stockend über seine Lippen. »Und Kathy, verzeih mir bitte, was ich zu dir gesagt habe! Es war dumm und gemein von mir. Ich weiß jetzt, wie sinnlos Krieg ist.«

»Ich verzeihe dir«, erwiderte Kathy und strich ihm über den Kopf. »Werde nur ganz schnell wieder gesund!«

Gabi brachte dem Patienten einen weiteren Becher Tee, den er ebenfalls mit großen Schlücken leerte.

»Es ist ein Wunder!« rief Traudl aus. »Ich fürchtete, ich würde dich verlieren, und jetzt sitzt du neben mir und kannst dich mit uns unterhalten. Wie hast du den Tod besiegt?«

»Ich fühlte mich so elend, dass ich dachte, es ginge zu Ende«, antwortete Wolfgang. »Doch dann kam dieser Vollidiot und sagte, ich sei schon tot oder würde innerhalb der nächsten Stunde den Löffel abgeben. Ich konnte mich zwar nicht bewegen, aber ich bekam alles mit, was im Zelt vor sich ging. Diese blöde Ziege, die sich eigentlich um mich kümmern sollte, knutschte mit dem Blödmann rum und hätte mich ohne mit der Wimper zu zucken sterben lassen. Das versetzte mich in eine gewaltige Wut. Ich wollte es diesen beiden miesen Typen heimzahlen. So schob ich alle Todesgedanken beiseite und kehrte ins Leben zurück.«

Rike, die am Zelteingang stand, blickte betreten zu Boden.

»Was ich getan habe, ist unverzeihlich!« heulte sie. »Ich wäre schuld an deinem Tod gewesen! Durch meine Dummheit hättest du sterben können und ich hätte beinahe meine Unschuld verloren – an einen dahergelaufenen Hallodri, von dem ich nichts weiß, außer dass er recht gut mit der Armbrust schießt und eine Unmenge von Kosewörtern kennt, die er bestimmt zu allen Mädchen gesagt hat, die er aufgerissen, vernascht und danach weggeschmissen hat. Ich mache einfach alles falsch! Wolfgang hat völlig Recht, wenn er mich eine blöde Ziege nennt. Ich bin dumm, unfähig, selbstgefällig und egoistisch. Drum mag mich keiner.«

Kathy nahm Rike tröstend in den Arm:

»Ich mag dich – mit allen Fehlern, die du hast und die du im Lauf der Zeit bestimmt ablegen wirst. Du wirst aus deinen negativen Erfahrungen lernen – so wie ich. Ich war nicht viel älter als du, als ich um ein Haar meine Unschuld verloren hätte – an einen Mann, den ich für meinen Traumprinzen hielt und von dem ich inzwischen weiß, dass er der größte Irrtum meines Lebens war.

Sieh es positiv: Du weißt jetzt, wie gefährlich es ist, sich von flüchtigen Emotionen beherrschen zu lassen. Was Wolfgang betrifft: Du hast dazu beigetragen, dass er überlebt hat. Du hast ihm den Lebenswillen zurückgegeben.«

»Weil er es mir heimzahlen wollte«, nuschelte Rike schuldbewusst. Sie trat an das Krankenbett heran. »Wolfgang, hau mir eine runter! Ich hab’s verdient.«

»Dazu fehlt mir im Moment die Kraft«, ächzte Kathys Cousin und schlürfte seinen Tee. »Verschieben wir’s auf morgen!«

 

Wolfgang wird tatsächlich wieder ganz gesund. Nachdem sein Vater im Krieg gefallen ist, ist er nun der Häuptling des Wolf-Clans. Neuer Anführer der Clan-Allianz ist Bernold, der Häuptling des Bären-Clans. Als Wolfgang Kathys Kloster verlässt, um ins weit entfernte Wolfen zu reiten und das Erbe seines Vaters anzutreten, gibt Kathy ihm ein paar Ratschläge mit auf den Weg, die wir wörtlich aus den Schriften von Robert Baden-Powell entnommen haben:

»Dein Vater ist tot, ebenso dein älterer Bruder. Du bist jetzt der Häuptling des Wolf-Clans. Bernold will die Häuptlinge aller Clans zu einer Beratung zusammenrufen. Du bist noch sehr jung, aber ich weiß, dass du die Interessen deines Clans gut vertreten wirst. Und wenn du Unterstützung brauchst, komm zu Traudl und mir!«

»Als Häuptling ist es meine Pflicht, das Land meiner Vorfahren zu beschützen und gegen jeden Feind zu verteidigen, der es wagt, uns anzugreifen oder Schaden zuzufügen«, antwortete Wolfgang.

»Es ist gut, sein Vaterland zu lieben«, erwiderte Kathy. »Doch Patriotismus darf niemals zu einem engstirnigen Nationalismus ausarten. Man darf auf sein Volk stolz sein, aber niemals andere Völker herabsetzen oder das eigene Volk über die anderen stellen. Der beste Patriotismus besteht darin, die Leistungsfähigkeit seines Volkes zu steigern, und nicht darin, Krieg gegen vermeintliche Feinde zu führen, die durch Handelsbeziehungen und Völkerverständigung unsere Partner und Freunde werden können.

Deshalb sollten die Angehörigen jedes Volkes in Kontakt mit Angehörigen der anderen Völker kommen, um ihre Lebensweise kennenzulernen und Freundschaften zu knüpfen. Je mehr persönliche Freundschaften zwischen den Völkern entstehen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie gegeneinander Krieg führen.

Reite nach Wolfen, um das Erbe deines Vaters anzutreten! Sei stets der Freund deiner Mitmenschen – unabhängig von ihrer Herkunft, Rasse oder Religion! Das wahre Glück findest du, wenn du andere Menschen glücklich machst und immer daran denkst, die Welt ein bisschen besser zurückzulassen, als du sie vorgefunden hast. Dann kannst du später einmal glücklich sterben in dem Bewusstsein, deine Zeit nicht vergeudet, sondern stets dein Bestes getan zu haben. Sei in diesem Sinn allzeit bereit!«

Was Kathy hier zu ihrem Cousin gesagt hat, stammt wörtlich von Robert Baden-Powell – größtenteils aus ROVERING TO SUCCESS, die drei letzten Sätze haben wir aus Baden-Powells Abschiedsbrief übernommen, den er kurz vor seinem Tod im Jahr 1941 an die Pfadfinder in aller Welt schrieb. Wenn nicht nur alle Pfadfinder, sondern alle Menschen auf der Welt dieses Vermächtnis Baden-Powells beherzigen, wird es keine Kriege mehr geben und die Menschen werden friedlich zusammenleben.

 

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